06.06.2022 – Kategorie: Wirtschaft & Politik
Winter 2021/22: Historische Zäsur in der Gasversorgung
Nach den Erfahrungen des „Kriegswinters“ 2021/22 fordern die deutschen Gasnetz-Betreiber: Die Netze müssen konsequent auf die Anforderungen des Zukunfts-Treibstoffs Wasserstoff umgestellt werden.
„Berichte über Speicherfüllstände sind in den Medien inzwischen fast so präsent wie die Wettervorhersage“, sagt FNB Gas-Geschäftsführerin Inga Posch anlässlich der Vorstellung des Winterrückblicks 2021/2022 ihres Verbands. Das zeige deutlich, „wie zentral die Gasinfrastruktur für die gesamte Energieversorgung und damit die Wirtschaftskraft Deutschlands ist.“
Ein historisch niedriges Befüllungsniveau bei den Gasspeichern, Handelspreise so hoch wie noch nie, eine teilweise Umkehrung der Transportflüsse: Die Vereinigung der Fernleitungsbetreiber Gas e.V. (FNB Gas) hat Anfang Juni die Bilanz eines Winters gezogen, wie ihn die deutsche Gasbranche noch nicht erlebt hat. So wackelig wie im vergangenen Winter war die Lage der deutschen Gasversorgung noch nie zuvor – und sie wird sich kurzfristig auch nicht entscheidend stabilisieren.
Schneller Umstieg auf Wasserstoff alternativlos
In dem grausamen Krieg Russlands gegen die Ukraine sehen die Ferngasleitungs-Betreiber eine historische Zäsur in der Gasversorgung. Diese werde auch nicht mehr rückgängig zu machen sein. Sie bedeute, dass Deutschland und Europa bei der Umstellung auf Wasserstoff mehr denn je Tempo aufnehmen müssten.
„Aufgrund der geopolitischen Veränderungen wird der Ruf nach Wasserstoff noch lauter als er ohnehin schon war“, betont Thomas Gößmann, der Vorstandsvorsitzende der FNB Gas. Wir müssen uns so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von russischem Gas lösen. Eine rasche Umstellung unserer Netze auf Wasserstoff ist aus der Perspektive des Industriestandorts Deutschland alternativlos.“
Gefahren für die Gasversorgung schon im Dezember erkennbar
Bereits Anfang Dezember 2021 hatte die FNB Gas „ungewöhnlich niedrige Speicherfüllstände als Risiko für die Beschaffung von Regelenergie“ erkannt. Gemeinsam mit dem Marktgebietsverantwortlichen, der Trading Hub Europe (THE), hatten die Leitungsbetreiber Maßnahmen ergriffen, um die Mindestleistungen für eine Kälteperiode zum Ende des Winters zu sichern. Mit Sonderausschreibungen von Long Term Options (LTO) haben sie dafür gesorgt, dass die Gasversorgung besonders in Süddeutschland sichergestellt werden konnte.
Angriff Russlands auf die Ukraine sorgt für Umkehr der Transportflüsse
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich die Situation für Europas Gasversorgung in bisher ungekannter Weise weiter verschärft. Die Preise sind anhaltend auf einem sehr hohen Niveau. Ausbleibende Transporte aus dem Osten mussten – etwa in Polen – teilweise durch Importe aus Richtung Westen kompensiert werden. Das hat dazu geführt dazu, dass ein vormals kontinuierlicher Ost-West-Transport im deutschen Fernleitungsnetz zumindest teilweise in einen West-Ost-Transport umgekehrt wurde.
„Wir alle wünschen uns ein schnelles Ende des Krieges. Gleichwohl ist der Ausfall von russischen Gaslieferungen – sei es durch ein EU-Embargo oder durch einen Lieferstopp Russlands – ein ernst zu nehmendes Szenario geworden,“ sagt FNB Gas-Chef Gößmann. „Darauf bereiten wir uns sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene mit Analysen und regelmäßigen Lagebesprechungen vor.“
Europaweites Fernleitungsnetz für Wasserstoff schon in der Planung
Seit dem Sommer 2020 treiben sowohl Deutschland als auch die EU die Planungen für ein integriertes Wasserstoff-Leitungsnetz in Europa voran. Denn dass „grüner“ Wasserstoff das fossile Erdöl und Erdgas als Energieträger in der Chemie-, Stahl-, und Zementindustrie ebenso wie im Schwerlastverkehr ersetzen muss, ist unter Energie-Experten schon lange unstrittig.
Doch bislang waren die Pläne für das European Hydrogen Backbone in Europas Gasversorgung noch weitgehend Theorie. Im Sommer 2021 umfasste die Vision eines flächendeckendes Fernleitungsnetz für Wasserstoff in Europa 23 Betreiberfirmen in 21 Ländern. Für ein Netz von rund 40.000 km Länge errechneten sie – je nach Ausbauversion – notwendige Gesamtinvestitionen von 43 bis 80 Milliarden Euro bis zum Jahr 2040.
Diese Planungen werden nun – das wissen alle Beteiligten nur zu gut – schnell aktualisiert und mit Volldampf vorangetrieben werden müssen. Bewerkstelligen lässt sich dieses Ziel nur in einem engen, konstruktiven Zusammenwirken von Wirtschaft und Politik. „Schnell und zu vertretbaren Kosten ist das nur möglich, wenn die Politik jetzt einen integrierten Planungs- und Regulierungsrahmen für Erdgas und Wasserstoff schafft – und damit Investitionssicherheit für unsere Unternehmen,“ sagt Verbandschef Thomas Gößmann.
Aufmacherfoto: FNB Gas – teranets bw GmbH
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